Gestern Abend war ich mal in Kreuzberg. Das ist erwähnenswert, weil ich da sonst nie bin. Der Berliner bleibt ja in seinem Kiez, wie ich nicht müde werde Menschen zu erklären, die nicht hier wohnen und immer fragen, ob die Stadt nicht viel zu groß und unübersichtlich wäre. Doch, ist sie. Aber man bewohnt sie ja nicht komplett. Niemand zwingt mich schließlich, zum Bäcker nach Spandau und zum Rossmann nach Steglitz zu fahren, oder eben zum Biertrinken nach Kreuzberg. Wenn man möchte, kann man das aber machen, das ist ja das Schöne an Berlin.
Kreuzberg also, am Spreeufer, wer es genau wissen möchte. Wo früher mal Menschen wohnten, die sich vor der Bundeswehr nach Westberlin geflüchtet hatten, um dort Häuser zu besetzten, in denen sie Ratten oder Hanf oder beides züchten und Wettbewerbe im Kronkorkenweitschießen veranstalten konnten. Und heute kein Mensch mehr Deutsch spricht. Sondern Spanisch. Englisch. Französisch. Italienisch. Holländisch. Man hätte den Autoren des Easyjet-Magazins niemals erlauben dürfen, sich auf der Suche nach Insider-Tipps frei in der Stadt zu bewegen.
Man soll mich nicht falsch verstehen – ich habe nichts gegen Touristen. Solange sie zwischen Mitte und Kudamm hin- und herfahren und nicht zu langsam reagieren, wenn man sie vom Fahrradweg wegzuklingeln versucht. Aber ein Abend in einer einst netten Bar am Ufer verliert doch sehr seinen Charme, wenn am Nebentisch acht betrunkene Holländerinnen sich den gesamten Abend im Wechsel mit ihrem Essen, ihren Getränken und vor allem starkem Blitzlicht fotografieren. Während betrunkene Finnen sich gegenseitig in den Fluss werfen. Und quasi unbekleidete Spanier sich in unschuldige Blumenkübel übergeben. Von Besuchern aus Schwaben, die sich ausführlich über das Für und Wider einer Versetzung in die Zweigstelle Memmingen austauschen, ganz zu schweigen.
Zum Glück wusste meine Leidensgenossin für diesen Abend, die verehrte Miss Monkeypenny, Abhilfe: Man müsste nur eine Parallelstadt bauen, in der die Touristen sich austoben können, und allen wäre geholfen. Ein paar heruntergekommene Fabrikhallen, ein bisschen Spree, fünf schnoddrige Berliner und drei Nazis, fertig ist das Urlaubsparadies für den Easyjetset. Gibt es auch schon, sogar mit direkter Anbindung an den Flughafen Schönefeld – das wird ein schöner Aufschwung Ost in Oberschöneweide.
23. Juli 2010
Ich wurde soeben von meinen Nachbarn auf deinen Blog, wie man das wohl nennt, hingewiesen. Wie schön du den du den Vorhof der Hölle, der sich unsere Umwelt nennt, doch in Worte zu kleiden weißt. Wollt mal fragen, ob ein Paket für mich angekommen ist. Als Dankeschön gibt’s Deo und Kuchen im Schweinealu. Sollte hier öfter vorbeischauen, machste jut!
PS Und was hat das jetzt mit Kreuzberg zu tun? Nischt. Kannst also auch direkt wieder löschen.
24. Juli 2010
Werte Karin, ich freue mich immer über Kommentare Deinerseits. Besonders natürlich, wenn sie sich um Schweinemett und eine nicht ganz korrekte Mülltrennung drehen – beides zwei sehr schöne Umschreibungen für das eigentliche Thema, das wir Kreuzberg nennen.
24. Juli 2010
Ich stehe zur Parallelstadt, möchte aber anmerken, dass ich explizit Spandau vorschlug zwecks Outsourcen der Touristenbespaßung. Die Zitadelle tritt als Dom, Gendarmenmarkt und Staatsoper in Synthese auf, Florida Eis-Filialen als Weekend und Bar25, den Kostümverleih als Kilian Kerner-Showroom. Es gibt dort nur Aluschwein zu essen, Deo zu trinken und am Ende darf Karin alle löschen- mit einer Spitzpistole voller Touristenpisse-Spreewasser. Prost.
24. Juli 2010
Das Problem an Spandau ist jedoch, dass man die Touris auf dem Weg von Schönefeld dahin durch die komplette Stadt karren muss, was sie eventuell beim Anblick der real existierenden Bauten misstrauisch machen könnte.