Ich bin ja nur eine kleine Lokaljournalistin. Wobei klein in diesem Fall fast wichtiger ist, weil es gar nicht so einfach ist, sich mit 1.63 auf einem schmalen Pressepodest gegen mit Leitern bewaffnete Agentur-Fotografen zu behaupten, die gerade völlig ausrasten, weil sie Angela Merkel fotografieren dürfen. Womit wir schon mitten drin sind in der Geschichte, die mich als Lokaljournalistin in Prenzlauer Berg gestern erstmals auf eine Veranstaltung bundesdeutschen Belangs spülte: Angela Merkel hat an einer Schule ums Eck eine Geschichtsstunde gegeben. Und ich durfte dabei sein. Bzw. in der Nähe sein. Bzw. ein Foto davon machen, wie Angela Merkel einen sorgsam aufgebauten Jubelparcours durchschritt und danach in der Schule verschwand. Wo außer dem Veranstalter, dem Jugendmagazin Spießer, keine Presse zugelassen war. Mein Ausschluss lag also nicht ausschließlich an der vermeintlichen Bedeutungslosigkeit meines Mediums.
Wie gesagt, ich bin kleine Lokaljournalistin. Wenn ich den Stadtrat treffe, bringt er keine Jubelperser mit und ich darf dafür Fragen stellen. In der Bundespolitik scheint das anders zu laufen. Da werden zu einem Termin zum Jahrestag des Mauerbaus erst gar keine Wort-, sondern nur Bildjournalisten zugelassen, und denen bleibt dann genau eine Minute Zeit, festzuhalten, wie Angela Merkel winkt, Hände schüttelt und Drillinge kennenlernt.
Ganz recht: Angela Merkel looking at triplets.
Nun deutet die Anwesenheit des so vorbildlich eine Raute formenden jungen Manns rechts im Bild darauf hin, dass vielleicht nicht alle Schüler ganz so ekstatisch beim Anblick der Kanzlerin waren, wie der erste Blick vermuten lässt. Doch der erste Blick war dennoch eindrucksvoll.
Und ja, ich werde den Eindruck nicht los, dass hier mal eben ein paar Schüler instrumentalisiert wurden, um Angela Merkel einen schönen Wahlkampfauftakt zu bereiten. Sie alle hatten beim Eintreffen der Kanzlerin frei, wurden mit schönen Jobs und noch schöneren Namensschilder versorgt und durften die Presse betreuen oder die Mitschüler ordnen. Da soll man als junger Mensch nicht mitgerissen werden und einfach mal sagen: Nein, ich mache jetzt kein Handyfoto.
Kurz (ich wiederhole mich): Es herrschte eine Stimmung wie beim Justin-Bieber-Konzert. Ich frage mich nur, ob 15-Jährige wirklich auf Angela Merkel stehen oder eher jemand dafür gesorgt hat, dass sie an diesem Tag gar nicht anders konnten als sich begeistern.
Veranstalter des ganzen war, wie gesagt, der Spießer. Eine sympathische Schüler-Zeitung, die sich offenbar gerne erst die gesamte Presse einlädt, ihr dann die Tür vor der Nase zuschlägt und im Anschluss noch schöne Zitate zur Weiterverwendung anbietet. Ganz recht, als sei die Sache nicht so schon absurd genug gewesen, drückte mir zum Abschluss eine junge Frau eine Pressemappe in die Hand mit dem Hinweis, da finde ich dann auch den Link für die abgestimmten Zitate. Dem zu folgen ich mir natürlich nicht ersparen wollte, sodass ich jetzt weiß, dass die paar Schüler, die der sagenumwobenen Geschichtsstunde tatsächlich beiwohnen durften, Merkel „humorvoll“ und „offen“ und den Unterricht „überraschend gut“ und „mit 1-“ zu bewerten fanden.
Halten wir also fest: Es gibt Schulen, die sich als richtigen Ort für einen Wahlkamf-Auftakt empfinden und ihre Schüler gerne als Deko bereitstellen. Und es gibt Schülerzeitungen, die mit Kollegen umgehen, als wären wir alle in Nordkorea. Mich hat das ein wenig verwundert. Alte Politikhasen finden das, wenn ich das recht sehe, mit einer Ausnahme nicht weiter bemerkenswert. War dem Anlass ja auch irgendwie angemessen.
Nachtrag vom 22. August:
Ich habe dann doch noch mal bei den Veranstaltern nachgefragt. Die Langfassung gibt es hier nachzulesen. Die Kurzfassung geht so: Der Spießer sagt, das Bundespresseamt sei für den Auflauf auf dem Schulhof verantwortlich gewesen. Das Bundespresseamt meint, den zu organisieren sei auch seine Pflicht gewesen. Und die Schulleiterin lässt ausrichten, dass sie gar nichts sagt.
15. August 2013
Kleiner Tippfehler: Es sind Agenturen, ohne r.
15. August 2013
@Jeeves, @Tim
Ups. Danke, ist verbessert!
15. August 2013
Über dem ersten Bild steht „Angela Merken“. Ansonsten ein schöner Einblick in diese ach so tolle Fassade. Merci dafür.
15. August 2013
Früher hat man solche Bestellklatscher mal „Claqueure“ genannt und das war kein besonders lieb gemeinter Begriff…
15. August 2013
Der Spiesser ist keine Schülerzeitung (mehr). Schülerzeitung klingt so nett und harmlos. Die agieren schon geschickt und im knallharten Jugendzeitungsbusiness durchaus erfolgreich…
15. August 2013
Das mit den Jubelpersern durfte ich aufgrund meines Nebenjobs bei einem örtlichen Radiosender auch erleben, wo zu einem Auftritt von Merkel und McAllister haufenweise JU-Menschen eingeladen wurden, teils als Zuhörer, teils als „Security“. Das Verhalten des Spießers finde ich ziemlich blöd. Ich bin übrigens freie Mitarbeiterin dieses Magazins und als solche folge ich dem Twitter-Account. Ich wurde einen Vormittag mit „Spießer“-Merkel-Meldungen zugespammt, weil jede verdammte Kleinigkeit unbedingt getweetet werden musste.
15. August 2013
Prinzip „Honecker-Besuch“. Kennt Merkel ja gut und scheint in ihrem Umfeld immer noch gängige Praxis zu sein.
Klar jubeln Kinder jemanden zu, der ihnen ein Eis kauft. Sie wissen ja nicht, dass ihre Eltern das Eis sehr teuer bezahlt haben.
15. August 2013
Solange aus den Jubelpersern keine Prügelperser werden, lässt sich die Sache noch verkraften.
15. August 2013
Naja, den „Spießer“ als „Schülerzeitung“ zu bezeichnen ist a priori schon stark geschmeichelt. Wir bekommen dieses Produkt paketweise in die Schule (Gymnasium!) geschickt, legen auch jedesmal ein paar Exemplare im Forum als Lesestoff aus… und wenn die nächste Ausgabe geliefert wird, wird die nunmehr nicht-mehr-aktuelle Version vollzählig in den Papiermüll entsorgt. Ich habe jedoch noch nie, ich betone: tatsächlich NIEMALS auch nur einen einzigen Schüler oder eine Schülerin (oder auch eine Lehrkraft) in diesem Blättchen blättern sehen. Insofern ist es eine gigantische Verschwendung von Papier-, Redaktions- und Logistikkosten, denn ich halte unsere Schülerschaft, offen gesagt, nicht für eine einsame Insel von Ignoranten in einem Meer von eifrigen „Spießer“-Lesern…
15. August 2013
Hallo! Ich bin schon etwas älter und für mich ist diese Art Wahlkampf daher eigentlich in einer inzwischen einige Jahrzehnte alten Demokratie ein intellektueller und politischer Absturz.
Eine Kanzlerin und eine Schulklasse mit nicht einer Aussage zum Thema „Geschichte“! Ob die Nachbereitung dieser Stunde noch eine Antwort auf die Tatsache findet, dass das Wissen über unsere Herkunft unsere Zukunft bestimmt? War sie eine Kanzlerin ohne Herkunft und ohne Zukunft? Eine Kanzlerin ohne einen bleibenden Gedanken?
War die Klassenstunde nur ein Event?
15. August 2013
Solange es auch auf lokaler Ebene wenigstens noch eine handvoll kritischer Journalistinnen gibt, ist die deutsche Demokratie noch nicht verloren.
Danke, das macht Hoffnung!
15. August 2013
Die Raute ist ein Dreieck.
15. August 2013
Hurra! Hurra! So nicht. Das ist ein CD- und Songtitel von Gisbert zu Knyphausen. Empfehlenswert. Auch als Überschrift.
15. August 2013
[…] Juliane Wiedemeier » Hurra! Hurra! So nicht. — Juliane Wiedermeier über eine Wahlkampfveranstaltung Angela Merkels in einer Berliner Schule: Halten wir also fest: Es gibt Schulen, die sich als richtigen Ort für einen Wahlkamf-Auftakt empfinden und ihre Schüler gerne als Deko bereitstellen. Und es gibt Schülerzeitungen, die mit Kollegen umgehen, als wären wir alle in Nordkorea. Mich hat das ein wenig verwundert. Alte Politikhasen finden das, wenn ich das recht sehe, mit einer Ausnahme nicht weiter bemerkenswert. War dem Anlass ja auch irgendwie angemessen. […]
15. August 2013
ja..frau merkel ist die kanzlerin der schönen bilder..der wunderbaren momentaufnahmen..wie sie hände schüttelt und wie sie ihre raute der macht vorführt….und wie sie leere sprechgblasen ablässt…viel reden ohne wirklich etwas zu sagen..allen gefallen wollen und keinem weh tun…und am besten gar nicht mit politik in verbindung gebracht werden..und das macht sie wunderbar..keiner bringt sie mit der politik der regierung (deren chefin sie ist) in verbindung..also alles richtig gemacht…sie könnte werbung für eine haarspray machen..10 uhr.. wahlkampftermin ..die frisur sitzt
15. August 2013
[…] Wiedemaier beschreibt, wie beim Wahlkampf die Presse so selektiert wird, daß das „beste Ergebnis“ […]
16. August 2013
Ach, wie gerne wäre ich bei dieser TOP-Veranstaltung dabei gewesen. Nicht.
Aber mal ehrlich, als Schüler fanden wir doch alles SUPER wenn wir dafür nur keinen Unterricht hatten!
16. August 2013
@12 nik Wenn wir schon Schülerthemen haben: Jedes Dreieck ist ein Viereck mit einem 180°-Winkel. Da die Seiten hier gelenkig sind, ist man mit Raute auf der sicheren solchen, falls es doch nur 179° 21′ 19′ sein sollten.
Apropos gelenkig und Merkel und Schule. Mir fällt da immer Schiller ein: Was redst du mir, Gesell? Werd‘ ich auf Weibestugend bau’n, Beweglich wie die Well‘? Leicht locket sie des Schmeichlers Mund, Mein Glaube steht auf festerm Grund.
Merkel: Oder ist euer Lebenstraum etwa Hartz IV?
Laura: Nein!
Merkel: Na also.
http://www.welt.de/wams_print/article4147172/Oder-ist-euer-Lebenstraum-etwa-Hartz-IV.html
Zurecht setzt Springers kleiner Liebling das als Überschrift: Ebenso genial wie infam.
17. August 2013
„Ein ebenes Viereck, bei dem alle vier Seiten gleich lang sind, heißt Raute […]. Dabei sind gegenüberliegende Seiten parallel und gegenüberliegende Winkel gleich groß.“
Wikipedia
Damit ist das, was der Schüler mit den Händen formt, keine Raute.
Es scheint sich eher um ein Drachenviereck zu handeln.
http://de.wikipedia.org/wiki/Drachenviereck
Das Drachenviereck geht mit Ansteigen des Winkels auf der einen Seite irgendwann in ein Dreieck über.
19. August 2013
http://www.cicero.de/berliner-republik/jubeljournalismus-medialer-hofknicks-fuer-angela-merkel/55400
Find ich schon ein starkes Stück, dich einfach so als „unbedarfte Lokaljournalistin“ abzufertigen… tolle Kollegen haste da… o_O
19. August 2013
@Markus
Ich glaube ja, dass es irgendwo eine interne Vorgabe gibt, das Wort „Lokaljournalistin“ niemals ohne das passende Adjektiv zu gebrauchen. Das eben „unbedarft“ heißt. Denn hey, Lokaljournalisten, das sind doch die Deppen mit den Kaninchenzüchtern, die es nicht zu den überregionalen Blätter schaffen. Die sind halt unbedarft, immer.
19. August 2013
Hab mich lustigerweise auch als erstes gefragt, warum es nicht möglich war, das Wort „Lokaljournalistin“ einfach mal so ganz adjektivlos da stehen zu lassen…
D.h. also im Umkehrschluss, wäre zu exakt der gleichen Veranstaltung in exakt dem gleichen Kontext das Wort „Jubelperser“ von einem Cicero-Fuzzi gekommen, hätte es wahrscheinlich geheißen: „…so das Urteil eines erfahrenen Hauptstadt-Journalisten…“?
Oh Mann, ist das Kindergarten… >.<
19. August 2013
bzw. ist es lustig, wie nach ein bissl Nachdenken im Journalismus scheinbar tatsächlich auch andere Worte scheinbar sehr eng mit bestimmten Adjektiven verheiratet sind. Auslandskorrespondenten sind immer „erfahren“, CSU-Politker immer „gestanden“, Politiker-Zweit- oder Dritt-Ehefrauen im Enkelinnenalter sind grundsätzlich „bildschön“. Tierschützer gibt es nur als Geschmacksrichtung „engagiert“, Klimaforscher umstritten, Energieversorger „gebeutelt“, Steuerzahler „ehrlich“, Wähler sind entweder „unentschlossen“ oder „verdrossen“. Gibt bestimmt noch mehr Beispiele, aber ich lese wohl zu wenig Zeitung und gucke zu wenig fern (nämlich gar nicht), um sie alle kennen zu können… aber wahrscheinlich bin ich irgendwo als „verschrobener Computerfreak“ verewigt… ^^
19. August 2013
@ Markus
vielleicht bin ich einfach zu unbedarft, aber hast du den Artikel vom Cicero eigentlich gelesen? Die ganzen „erfahrenen“ Journalisten werden da als Merkels Wahlkampfhelfer abgestempelt.
Die „unbedarfte Lokaljournalistin“ steht im Gegensatz zu den „echten“ Journalisten. Finde es schon recht eindeutig, wer da abgefertigt werden soll.