Als Frau mit Hang zu Naturwissenschaften hat man es wahrlicht nicht leicht. Erst versuchen einen nervende Verwandte mit Puppenstuben und Malbüchern vom Basteln mit dem Chemiebaukasten abzuhalten, später dann wird man als einziges Mädchen mit Physik-LK nur noch zu Wlan-Partys eingeladen, und an der Uni ist man trotz Ehrendoktorwürden nur ein Gesprächsthema, weil man mit der großen Schutzbrille zu dem Bunsenbrenner-Unfall-bedingten Kurzhaarschnitt so lustig aussieht.
Doch, das Leben als Naturwissenschaftlerin ist eines der härteren. Umso ehrenwerter, dass die deutsche Zeitschrift „Viel Spaß“ (Untertitel: zum kleinen Preis) sich des Imageproblems dieser Damen nun annimmt und in der aktuellen Ausgabe einer Forscherin eine ganze Doppelseite widmet. Denn auch wenn Marie Curie bereits seit über 75 Jahren tot ist – die Dame hat Polonium und Radium entdeckt, zwei Nobelpreise einkassiert und letztendlich ihre Experimente mit Radioaktivität mit dem Leben bezahlt. Dafür kann man sie ruhig noch mal im Ressort „Wissen und Wunder“ der „Viel Spaß“ unter der Kategorie „Faszinierende Welt – die 66 größten Mysterien unserer Zeit“ ehren.
Und so sieht das dann aus, wenn die „Viel Spaß“ sich über zwei Seiten mit einer der erfolgreichsten Naturwissenschaftlerinnen überhaupt beschäftigt:
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„Marie Curie – War die erste Nobelpreisträgerin liebestoll?“ Denn das ist es doch, was vielleicht nicht uns, aber zumindest die Leser der „Viel Spaß“ an Marie Curie interessiert.
Ich möchte nicht zu sehr ins Detail gehen, aber die verantwortliche Redaktion zählt zu den „66 größten Mysterien unserer Zeit“, dass Marie Curie eine Affäre mit einem fünf Jahre jüngeren, verheirateten Mann hatte („Pikant: Langevin ist nicht nur der Schüler ihres verstorbenen Mannes und fünf Jahre jünger als sie, er ist auch verheiratet und hat vier Kinder. Hat Marie Curie damit mutwillig eine Familie zerstört?“). Und („War sie etwa süchtig nach Liebe und Erotik?“) eventuell eine Liebelei mit der amerikanischen Journalistin Marie Meloney, mit der sie sich Briefe schrieb, die Curie später vernichten ließ, weil sie alle persönlichen Dinge beseitigte. Was für die „Viel Spaß“ natürlich ein eindeutiger Hinweis auf – wie nannten sie es gleich? Genau: Liebestollheit ist.
Das ist doch endlich mal Wissenschaftsjournalismus, der begeistert. Nicht trocken, sondern leicht und fluffig und dazu sogar noch anwaltschaftlich kritisch, wenn sich der Autor nach ausführlicher Analyser der Affäre, des Artikels, der sie damals aufdeckte, und des darauf folgenden Beinahe-Duells darüber echauffiert, dass man Curie aufgrund des Skandals einen Platz in der Akademie der Wissenschaften verwehrte. „- eine Unverschämtheit, bedenkt man ihre wichtigen Errungenschaften.“
Genau so, wie Ihr Artikel, lieber unbekannter ungenannter Autor. Aber gut zu wissen, dass die „Viel Spaß“ (Aktueller Aufmacher: „Simone Thomalla und ihr Silvio: Schlimme Demütigung – Ihr junger Geliebter will nicht heiraten“) ihr Konzept der völlig verqueren Schwerpunktsetzung sogar auf Menschen übertragen kann, die seit einem Dreivierteljahrhundert tot sind.
Leider bin ich erst mit dieser Ausgabe und damit Folge 48 auf die schöne Serie über die Mysterien unserer Zeit aufmerksam geworden. „Albert Einstein – wie er sprödes Haar mit Frizz-Effekt zum Markenzeichen machte“, „Karl der Große – viel zu klein für die NBA“ oder „Kleopatra – immer der Nase nach direkt zu Dr. Mang“ habe ich somit leider verpasst. Vermutlich. Sicher ist dagegen, worauf wir uns in der nächsten Ausgabe freuen dürfen:


18. Oktober 2010
Ich freue mich, dass meine Mitbringsel eine derart nachhaltige Begeisterung ausgelöst haben. Gerne wieder, gerne auch mit weiteren Angeboten.