Ich habe Glück, denn ich habe gar kein Auto. Mehr. So stellt sich mir nicht die in diesen Zeiten wichtigste aller Fragen: Sollte ich ein Fähnchen daran befestigen oder nicht?
In Berlin haben sich schon jetzt überraschend viele Menschen dafür entschieden, was ich in dieser unserer Hartz-4-World jedoch weniger als Zeichen des Patriotismus als mehr als Signal an die verarmten Mitmenschen ansehen: Ich beflagge mein Auto, einfach, weil es geht. Versucht Ihr prekären BVG-Nutzer das mal mit dem U-Bahn-Fahrer abzusprechen. Da flöge Euch das Fähnchen schon vor der Einfahrt in den ersten Tunnel um die Ohren. Ich dagegen bestimme selbst, was mit meinem klapprigen Golf passiert. Ich kann mir Benzin und KFZ-Steuern leisten, also flagge ich.
Seit neuestem gibt es jedoch eine Möglichkeit für die Nutzer des öffentlichen Personennahverkehrs, zurückzuschlagen. Möglich macht das ein Elektronikhändler mit scheußlicher Werbung, der zurzeit Fahrkarten für die Bahn vertickt und dazu ein WM-Utensil mitliefert, für das man weder ein Auto noch sonst irgendwelche Hilfsmittel braucht. So lange man denn einen Oberkörper sein Eigen nennt.
Die Pfiffigen unter den Lesern haben es sicher längst erkannt: Es geht um ein so genanntes Fantrikot, das auch ich seit heute morgen zu meinem Besitz zähle und das seitdem in meinem Zimmer den süßen Duft der chemischen Industrie verströmt.
Allein der Begriff „Trikot“ legt ja nahe, dass man in diesem Kleidungsstück Sport treiben kann, was ich für eine sehr gute Idee halte, so lange es sich denn um Tauchen oder Surfen handelt. Neopren mag zwar im Vergleich zu dem hauchdünnen Polyester etwas stabiler daherkommen; wenn es aber um den Auftrag geht, Wärme am Körper zu halten, dürfte es mindestens ebenso effektiv sein.
Natürlich hat man das gute Stück auch mit sinnreicher Beschriftung versehen, wie es seit den 90er Jahren üblich ist, als die ersten Fünfzehnjährigen es für eine gute Idee hielten, sich von ihrem Shirt „Zicke“ auf die Brüste schreiben zu lassen. Vorne steht „Team 2010“, was vor meinem inneren Auge eine Truppe echter Hartzis auf den Platz laufen lässt, deren Trainer selbstredend Gerd Schröder heißt. Die Rückseite zieren die Nummer 10, flankiert von dem Hinweis, zu welchem Land das ganze überhaupt gehört, sowie einigen Produktplatzierungen. Sich eine Rückennummer mit fettsüchtigen Koksern und Raumausstattern mit dem Wunsch to have a little bit lucky zu teilen – was will man mehr? Wenn man eigentlich doch nur kostengünstig durch Deutschland reisen wollte.
Bleibt die Frage, wie ich das Wunderwerk der Technik nun wieder los werde, denn in den Hausmüll darf das sicher nicht. Zerlegt in kleine Einzelteile plane ich es im Laufe der nächsten Wochen dort zu entsorgen, wo man noch ein Herz für Sondermüll hat. Etwa im Batteriecontainer bei Rossmann. Womit auch geklärt wäre, womit ich mich zu vergnügen gedenke, während der Rest der Nation dem öffentlichen Sehen frönt.
Wer sich jetzt wundert, ob diese Frau tatsächlich gerade einen kompletten Post über ein T-Shirt geschrieben hat, dem bestätige ich gerne: Ja, hat sie. Einfach, weil es geht, und sie es kann.
9. Juni 2010
Erstens ist das schön geschrieben. Dafür könnte man fast schon eine kleine Tucholsky-Plakette vergeben.
Zweitens fällt mir auf, dass es ein Beitrag aus und über Berlin ist. Wenn man das Thema „Sportfunktionswäsche aus Plastikfasern“ an eine Münchnerin, eine Kölnerin, eine Hamburgerin oder eine Stuttgarterin gegeben hätte, die hätten das alle nicht so schnell und bitter mit dem Sozialen verknüpft. Eher nur mit dem Wetter, den „Männern“, der Bierindustrie, den Medien oder Gott weiß was …
9. Juni 2010
beste frau juliane, wenigstens habt ihr öffentlichen nahverkehr in berlin. ich werde nie wieder über die bvg schimpfen. hier in kapstadt kann man guten gewissens nur eine buslinie benutzen. die fährt immer schön im kreis, und so unwichtige stationen wie das stadion werden erst gar nicht bedient. dafür liegen hier neben fähnchen ohrenschützer für die rückspiegel voll im trend. nicht falsch verstehen, ist immer noch toll hier. nur die füße tun weh, vom vielen laufen.
10. Juni 2010
Erinnert mich ein wenig an die zwei U-Bahn-Linien in Peking, die natürlich auch nicht zum Olympiastadium führten, sowie einen nicht existenten Busfahrplan. Womit eindeutig ein Plädoyer gehalten wäre für Berlin. Und Sportgroßveranstaltungen in Entwicklungsländern, bei denen auch Nicht-Sportler zu mehr Bewegung animiert werden.
20. Juni 2010
Posts über Shirts sind nie schlecht! Ich weiss das!