Juliane Schader

Zimmer mit Aussicht

Gerüchteweise soll es ja WGs geben, die sich so gut verstehen, dass die Türen ausgehängt werden. Privatsphäre ist schließlich was für FDP-Wähler. Wir gehen jetzt sogar noch weiter: Heute haben wir die Fenster abgeschafft.

Der Dank für diese neue Ebene des Zusammenlebens gilt dem Maler, der sich unlängst daran erinnerte, dass er ja die Instandsetzung der Fenster in unserer Wohnung noch nicht abgeschlossen hatte, die er vor nur einem Jahr begonnen hatte. Es kommt aber auch immer so viel dazwischen.

Heute morgen um neun rückte er daher mit schwerem Gerät an, um sein Werk zu vollenden. Und erstmal ausgiebig sandzustrahlen, oder wie auch immer Fachleute die Tätigkeit bezeichnen, mit der alter Lack mit sehr viel Lärm von altem Holz geschabt wird. Stundenlang. Auf einer Frequenz, die ungefähr so angenehm anzuhören ist wie Fingernägel, die über Tafeln kratzen, oder Whitney Houston in der aktuellen Version.

Kurz, bevor ich dem Maler mitteilen musste, dass meine Aussage „Kein Problem, wenn sie den ganzen Tag brauchen, ich arbeite zu Hause“ auch beinhaltete, dass ich zu Hause arbeite, stand zum Glück des Handwerkers liebste Tageszeit an: Frühstückspause. Die schon mal so lange dauern kann wie die bisherige und die kommende Arbeitszeit zusammen. Aber immerhin hatte ich ein wenig Ruhe, nachdem erstmal alle Türen lautstark dank der offen stehenden Fenster zugeknallt waren.

Ein Zustand, über den ich mich erst im Nachhinein freuen konnte – denn immerhin hatten wir zu diesem Zeitpunkt noch Fenster, die man offen stehen lassen konnte. Im Laufe des Nachmittags wurden daraus trostlose Löcher, denn zum einen hatte der Maler beschlossen, seine Arbeit in Teilen zu Hause fortzusetzen („Die Fenster bringe ich Euch dann in der nächsten Woche wieder“), zum anderen war der Glaser eingetroffen, um all die kleinen Sprünge zu beseitigen, die das Leben in das DDR-Verbundglas gefressen hatte, um hier gleich den neu erlernten Fachbegriff zu nutzen. Nicht wiedergeben kann ich an dieser Stelle leider den mitleidsvollen Ausdruck, den der Glaser aufsetze, als er unsere Fenster als eben solches erkannte. Das letzte Mal wurde ich so angesehen, als ich im Jahr 2005 in der S-Bahn saß und die Kassette in meinem Walkman umdrehte.

DDR-Verbundglas also, die River-Cola unter den Fenstern, die sich in ihren Dämm-Qualitäten von einem Blatt Papier nur dadurch unterscheidet, dass man zusätzlich noch durchschauen kann. Ist doch gut zu wissen, für wen man in diesem Winter so viel geheizt hat. Zum Glück kommen im Prenzlauer Berg zumindest die Glaser nicht aus Schwaben, sodass der berlinernde Fachmann tatsächlich die schadhaften Elemente des Verbundglases austauschen und die Fenster in Küche und Mitbewohner-Zimmer wieder einbauen konnte, bevor die Nacht hereinbrach. Was für die vom Maler deinstallierten Exemplare im Mitbewohnerinnen-Zimmer nicht galt. Die kommen, wie bereits erwähnt, erst in der nächsten Woche wieder, doch vielleicht sollte man zugeben, dass es sich in diesem Fall um Doppelfester handelt, deren innere Version noch da ist. Obwohl es natürlich auch schön gewesen wäre, die Fensteröffnungen provisorisch mit Müllsäcken zuzukleben, wie ich es in den 90er Jahren während diverser Polenurlaube bei Autos mit westlichem Kennzeichen, aber nun ohne Radio gesehen habe.

Womit wir zum großen Finale kommen: Dem Abgang des Malers. Mit dem Hinweis, morgen wiederzukommen, um die Fensterrahmen zu lackieren. Und der Ansage, er habe für eben diesen Anlass ein paar seiner Utensilien im Mitbewohner-Zimmer zurückgelassen. Die sich beim näheren Hinsehen als die komplette Ausstattung eines mittelständischen Betriebes herausstellten, zwei Industriestaubsauger und diverse Eimer Kram inklusive. Die sich natürlich sehr dekorativ machen zwischen Bett, Schrank und Regal. Auf 13 Quadratmetern.

Aber man will ja nicht undankbar sein. Dafür wurde quergelüftet.