Juliane Schader

Die Lücke

Journalist vom März 2017

Das einzige Mitglied der Chefredaktion, das 20 Prozent weniger verdient als die männlichen Kollegen. Die Social-Media- Redakteurin, die den Neuen mit vergleichbarer Berufserfahrung und den gleichen Aufgaben einarbeitet und dann erfährt, dass dieser im Jahr 10.000 Euro mehr verdient als sie. Die Fernsehredakteurin, die am Jahresende ein Rundschreiben vom Personalrat bekommt, das den durchschnittlichen Gehaltsanstieg in der Redaktion feiert, und sich fragt: Welcher Gehaltsanstieg? Nur die Männer im Team wissen die Antwort.

Wer einmal beginnt, sich in deutschen Redaktionen nach Unterschieden zwischen Frauen und Männern in der Bezahlung zu erkundigen, der fühlt sich bald wie auf einer Zeitreise in die 50er Jahre. Gleichberechtigung? Fehlanzeige. „Es gibt für mich keinen ersichtlichen Grund, warum ich so viel weniger verdiene als mein Kollege“, sagt eine Redakteurin, die anonym bleiben möchte. Wie ihr geht es auch anderen, die für diesen Text befragt wurden. Eine Branche, die sich dem Aufdecken von Missständen verschrieben hat, wird ganz leise, wenn es um Unwuchten im eigenen System geht. In den meisten Arbeitsverträgen steht der Hinweis, dass man über sein Gehalt nicht sprechen dürfe. In Zeiten wie diesen mag im Journalismus niemand seinen Job riskieren.

Laut dem Statistischen Bundesamt haben Frauen hierzulande im Jahr 2015 im Schnitt 21 Prozent weniger verdient als Männer. Experten bezeichnen diesen Unterschied als „Gender Pay Gap“. Deutschland liegt damit über dem Durchschnitt innerhalb der Europäischen Union mit 16 Prozent.

Auch im Journalismus ist diese Lücke zu beobachten. „Wir haben die Gehälter unserer Redakteure 2014 einmal strukturiert analysiert und damals festgestellt, dass Frauen, die vor 2010 eingestellt wurden, im Durchschnitt gut 15 Prozent weniger verdienten als Männer“, sagt Frank Murken. „Bei den später Dazugekommenen lag bei einem insgesamt niedrigeren Gehaltsniveau die Vergütung der Frauen geringfügig über dem ihrer Kollegen.“

Murken ist Betriebsratsvorsitzender bei der Wochenzeitung Zeit, die als vorbildlich bei der Förderung von Frauen in Führungspositionen gilt. Ihr Geschäftsführer Rainer Esser ist Mitglied in der „Initiative Chefsache“, die sich für die Chancengleichheit von Männern und Frauen engagiert.

„Ein Gender Pay Gap existiert. Doch die unterschiedliche Bezahlung, die wir festgestellt haben, kann viele Ursachen haben – Berufserfahrung, Aufgabenbereiche oder das Gehalt beim vorherigen Arbeitgeber“, meint Murken. Das sei damals nicht genauer betrachtet worden. Für ihn ist wichtig: „Eine explizite Strategie, weibliche Mitarbeiter finanziell zu diskriminieren, gibt es bei der Zeit nicht.“

Gründe, warum Frauen weniger verdienen als Männer, finden sich viele. Das Statistische Bundesamt führt dazu an, dass Frauen eher in schlechter bezahlten Care-Berufen, etwa als Altenpflegerin oder Erzieherin arbeiten und seltener Führungspositionen innehaben. Im sogenannten bereinigten Gender Pay Gap werden diese Faktoren herausgerechnet und nur noch Männer und Frauen mit vergleichbaren Tätigkeiten und Qualifikationen verglichen. Doch auch so bleibt eine Lücke von sieben Prozent.

Aufgabe des Arbeitgebers!

Das Amt gibt an, dass diese unter anderem mit Pausen im Job zu erklären wäre. Schließlich sind es immer noch vorwiegend Frauen, die für die Familie und die Erziehung der Kinder zu Hause bleiben. Das arbeitnehmernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW ) fügt dem noch hinzu, dass Frauen ihr Gehalt nicht so hart verhandelten wie Männer und zudem lieber in kleineren Unternehmen arbeiteten, wo tendenziell weniger bezahlt werde. Für das IW ergibt sich daraus, dass die Gender Pay Gap keine Folge von Diskriminierung, sondern von individuellen Entscheidungen sei.

Frank Murken hält dagegen, man könne den Frauen nicht die Verantwortung für das Problem zuschieben. „Es ist Aufgabe des Arbeitgebers, für Gleichstellung zu sorgen.“ Der Betriebsrat der Zeit hat in Folge der Entdeckung des Gender Pay Gaps für Redakteurinnen einen Workshop für erfolgreiche Gehaltsverhandlungen organisiert, mit Unterstützung des Arbeitgebers. „Dies hat etliche Teilnehmerinnen ermutigt, mit ihren Chefs in Gespräche übers Gehalt zu gehen“, berichtet Murken.

Im Kleinen mag so etwas als Empowerment funktionieren. Doch die Equal Pay Gap zeigt eine strukturelle Ungleichbehandlung, die nicht jeder so einfach akzeptieren mag wie das IW. „Die Kriterien sind Erklärungen, aber keine Rechtfertigungen“, meint Angelika Knop. „Jeder hat die moralische Verpflichtung, auf solche Ungerechtigkeiten genau draufzuschauen. Nur weil sich das System seit Jahrzehnten etabliert hat, ist es nicht richtig.“

Kein Mann würde das machen

Die freie Journalistin ist Equal-Pay-Expertin des Journalistinnenbunds und beschäftigt sich schon seit Jahren mit dem Thema. Für sie sind die Entscheidungen der Frauen nicht freiwillig, sondern die Folge jahrhundertealter Traditionen und gesellschaftlicher Normen. Als Beispiel erzählt sie von jungen Journalistinnen, denen bei Mode- oder Frauenzeitschriften nach längerem Praktikum oder Volontariat erst mal eine Stelle als schlechter bezahlte Redaktionsassistentin angeboten wurde, obwohl sie als Redakteurin arbeiteten. „Ich kenne keinen Mann, dem das passiert ist – und vermutlich würde es auch keiner machen, weil der Job ,Assistentin‘ eben als weiblich gilt.“

Auch die etablierte Strategie, das Gehalt an die Berufserfahrung zu koppeln, sieht sie kritisch. „Frauen, die Elternzeit nehmen, sitzen ja nicht auf der Parkbank. Sie erwerben auch Kompetenzen – sozial, organisatorisch. Das wird nicht berücksichtigt“, meint Knop. Ob jemand nun 20 oder 25 Jahre Berufserfahrung habe, sei zudem irgendwann egal.

Um eine derartige Diskriminierung anzugehen, bedarf es einer gesellschaftlichen Debatte. Doch diese anzustoßen, ist gar nicht so leicht. „Vor allem junge Frauen können sich oft gar nicht vorstellen, dass sie diskriminiert werden, bevor sie es zum ersten Mal erleben“, sagt Knop. Zudem sorgten Verschwiegenheitsklauseln dafür, das Problem unter der Decke zu halten. „Man kann offiziell gar nicht erfahren, was die Kollegen verdienen.“

In diesem Punkt soll ein neues Gesetz Abhilfe schaffen, dessen Entwurf das Bundeskabinett Anfang Januar verabschiedet hat. Demnach soll es in Zukunft möglich werden, das Gehalt der Kollegen mit vergleichbaren Positionen zu erfragen. Die Regelung soll jedoch nur für Unternehmen mit mehr als 200 Mitarbeitern gelten. In vielen Redaktionen bliebe es damit folgenlos.

Dass im Journalismus das Thema zuletzt dennoch auf der Agenda landete, liegt an der Klage einer ZDF-Mitarbeiterin, die wie jeder vor Gericht Ziehende das Recht auf Persönlichkeitsschutz genießt. In Gesprächen mit Kollegen hatte die preisgekrönte Reporterin eines Politmagazins den Eindruck gewonnen, dass ihre Arbeit dem Sender weniger wert ist als die ihrer männlichen Kollegen. Zunächst versuchte sie, die Sache intern zu lösen. Als das jedoch für sie ohne Ergebnis blieb, zog sie vor das Berliner Arbeitsgericht. Verhandelt wurde im Dezember.

Nur vereinzelt wird geklagt

Schon die Tatsache, dass hier jemand klagte, sorgte in vielen Medien für eine Welle der Solidarität. 1987 war die Sowjetunion-Korrespondentin der ARD, Gabriele Krone-Schmalz, mal dagegen vorgegangen, schlechter bezahlt zu werden als ihr männlichen Vorgänger. Aufgrund eines Formfehlers wurde ihre Klage abgewiesen. Dieser Vorstoß blieb aber ein Einzelfall.

Beim Deutschen Journalisten- Verband (DJV) gehen offenbar auch keine Beschwerden über den Gender Pay Gap ein. Auf Anfrage teilen die Rechtsabteilungen der beiden mitgliederstärksten DJV-Landesverbände in Nordrhein-Westfalen und Bayern mit, dass ihnen jedenfalls keine Fälle bekannt seien. Mit ein Grund dafür ist sicherlich, dass in Deutschland Arbeitsgerichte darüber entscheiden, ob eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vorliegt. Den eigenen Arbeitgeber zu verklagen, ist ein großer Schritt.

Umso mehr Beachtung fand der Fall der ZDF-Reporterin. In erster Instanz wies das Gericht Anfang Februar den Vorwurf zurück. „Die von der Klägerin benannten Mitarbeiter sind nicht vergleichbar, weil diese zum Teil in einem anderen Rechtsverhältnis tätig sind oder – soweit sie in einem vergleichbaren Rechtsverhältnis stehen – über längere Beschäftigungszeiten verfügen“, lautete die Begründung. Hier kommt zum Tragen, dass beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk freie, feste freie und fest angestellte Mitarbeiter tätig sind.

Die Klägerin hat angekündigt, in Berufung zu gehen. Ihr Anwalt argumentiert mit europäischem Recht, nach dem für die Höhe des Gehalts entscheidend ist, ob es sich um gleiche und gleichwertige Arbeit handelt – und nicht die Art des Anstellungsverhältnisses. Das ZDF hält dagegen, dass die Vergütung ihrer Mitarbeiter weitgehend durch Tarifverträge bestimmt sei. „Geschlecht, Alter, Religion etc. spielen hierbei keine Rolle“, heißt es in der offiziellen Stellungnahme.

Gender Pay Gap? Nicht bei uns!

Viel mehr ist vom ZDF zum Thema derzeit nicht zu erfahren. Ein Mitglied des Personalrats muss sich am Telefon erst erkundigen, was Gender Pay Gap denn überhaupt sei. Auf die Erklärung kontert er barsch, bei seinem Sender sei da alles in Ordnung, und zitiert werden wolle er in keinem Fall. Die Gleichstellungsbeauftragte bittet um Verständnis, sich zu einem laufenden Verfahren nicht zu äußern. Zu einem generellen Gespräch über ihre Arbeit ist sie zwar bereit, aber urlaubsbedingt kommt es nicht dazu.

Wie auch immer die Sache am Ende ausgeht – wie schwer es ist, im Einzelfall den Vorwurf der Diskriminierung zu überprüfen, zeigt sich schon jetzt. „Überall da, wo es keine Tarifstrukturen gibt und wo Outsourcing betrieben wird, gibt es ungleiche Bezahlung“, sagt Angelika Knop. „Davon betroffen sind Frauen – aber auch freie, junge, ostdeutsche oder Online-Journalisten.“

Indem zunehmend Verlage aus den Flächentarifen aussteigen, werden Gehaltsstrukturen unübersichtlich. Und wo noch Tarife gelten, sorgen möglicherweise Zulagen für Ungleichgewichte, von denen vorwiegend ältere Mitarbeiter profitieren. Liegt der geringere Verdienst am Geschlecht, an der Tätigkeit in der Online-Sparte oder doch am Status als Freie? Das auseinander zu dröseln ist gar nicht so leicht.

Tarifverträge können helfen

Dass Tarifverträge helfen können, die Gender Pay Gap zu schließen, diese Erfahrung hat eine weitere Redaktion aus der Zeit-Verlagsgruppe gemacht. „Als strukturelles Problem haben wir diese bei Zeit Online nie nachgewiesen. Aber in der Vergangenheit kam es in Einzelfällen vor, dass Frauen auf vergleichbaren Positionen weniger verdienten als Männer“, sagt Tina Groll. Mit der Einführung von tariflichen Regelungen im vergangenen Jahr habe sich das Problem jedoch reduziert.

Groll ist Redakteurin und Betriebsratsvorsitzende bei Zeit Online und engagiert sich seit Jahren für mehr Gleichberechtigung in der Arbeitswelt. Für sie trägt auch die Medienkrise mit dazu bei, dass sich so wenige gegen die große Gehaltslücke auflehnen.

„Viele sind heutzutage im Journalismus froh, einen Job zu haben. Da beschwert man sich nicht über die Bezahlung“, sagt sie. Hinzu käme, dass ein geringeres Gehalt auch zu Selbstzweifeln führen könne. „Entweder denken die Frauen, sie hätten sich unter Wert verkauft – damit möchte man nicht öffentlich umgehen. Oder sie zweifeln an ihrem eigenen Marktwert.“

Als Lösung des Problems nennt Groll, neben der Einführung von Tarifen auch Transparenz. Das Recht, das Gehalt der Kollegen zu erfahren, wünscht sie sich auch für Redaktionen mit weniger als 200 Mitarbeitern. Zudem fordert sie die Betriebsräte auf, regelmäßig Einsicht in die Lohnstruktur zu nehmen.

Freien und Redakteuren kleinerer Unternehmen ohne gewerkschaftliche Strukturen hilft das wenig. Doch diesen bleibt noch, sich selbst engagieren. „Gerade Frauen trauen sich oft nicht, jedes Jahr neu über ihr Gehalt zu verhandeln. Doch dieses Recht sollten Sie wahrnehmen“, meint Groll Und Angelika Knop rät: „Erkundigen Sie sich bei Ihrer Gewerkschaft, Kollegen oder Freunden, was Sie verlangen können, bevor Sie Ihr Gehalt oder Honorar verhandeln.“

Letztendlich bleibe es jedoch auch eine gesellschaftliche Herausforderung, sagt sie. „Wenn mehr Männer mehr als zwei Monate Elternzeit nähmen, würde das Problem kleiner.