Juliane Schader

Juliane, Du hast ungelesene Benachrichtigungen

Mark Zuckerberg hasst mich. Oder genauer, denn der Mann ist für so etwas natürlich viel zu beschäftigt: Marks Zuckerbergs Algorithmus hasst mich und hat beschlossen, mich in den Wahnsinn zu treiben. Was ihm gelingt.

Es begann damit, dass vor einigen Wochen die Facebook-App auf meinem Smartphone unbenutzbar wurde. Aus den üblichen Optionen „Haupt-“ und „neueste Meldungen“ wurden über Nacht „Meldungen, die 34 Tage alt sind, die aber vor zwei Minuten ein Dir völlig Unbekannter geliked hat“ sowie „Meldungen, die der unbekannte Freund eines ebenfalls Unbekannten kommentiert hat“.

Würde ich jemals jemanden trollen wollen, wäre diese Taktik mein Vorbild.

Für kurze Zeit war dieser Einblick in eine fremde Parallelwelt ganz amüsant. Als es sich jedoch als dauerhaft unmöglich herausstellte, auch mal mich interessierende Informationen zu bekommen, begann ich, die App zu meiden. Und erkannte: mir fehlte nichts.

Folgerichtig loggte ich mich auch seltener via Browser ein. Über Ostern erdreistete ich mich sogar, ein paar Tage in den Urlaub zu fahren und Facebook gar nicht zu besuchen. Was man in der Art und Weise quittierte, mit der sonst ein Mafiaboss drei säumige Raten Schutzgeld eintreibt.

Facebook schickt keine schmierigen Schlägertrupps. Facebook schickt Mails. Hans hat seinen Status aktualisiert, Luise ein Foto zu ihrem Album „Sonnenuntergänge“ hinzugefügt und Sören gefällt das. Für den Fall, dass mir diese einzelnen Benachrichtigungen aufgrund zu enthusiastischen Löschens entgangen sein sollten, kommt regelmäßig die Zusammenfassung „Hier sind einige Aktivitäten, die du vielleicht auf Facebook verpasst hast.“

Ey, Facebook, Du brain! Die Tatsache, dass ich mich seit fünf Tagen nicht einloggt habe, deutet darauf hin, dass ich genau diese Informationen gerne verpasst hätte! Was jedoch nicht möglich war, weil Du mich ungefragt, aber permanent per Mail auf dem Laufenden hältst.

Bevor mich jetzt jemand über das korrekte Setzen von Häkchen belehrt: Natürlich habe ich versucht, das zu unterbinden, die Einstellungen geändert und immer wieder am Ende der Mail auf „Abbestellen“ geklickt. Doch Facebook hat halt beschlossen, dass es besser weiß als ich, was mich interessiert.

Mancher beschämte Besitzer eines Arschgeweihs mag sich wünschen, seine Mutter wäre damals so konsequent geblieben, nachdem sie sagte „Keine Tattoos!“. Aber ich bin schon groß – na, sagen wir alt und weiß daher, was ich will. Und dazu gehört ganz sicher nicht, mich mit über 30 von einem Algorithmus erziehen zu lassen.

Doch bei Facebook teilt man sich entweder das Frauenbild mit dem Saturn-Mitarbeiter, der mir einst erklärte, ich als Frau bräuchte kein so elaboriertes Smartphone, weil ich ja eh nur Sms schriebe. (Ich höre den Algorithmus schon murmeln: Ach, die arme Juliane, hat so wenig Ahnung von Internet, dass sie nicht mal mehr den Weg zu Facebook findet. Doch dem Kind kann geholfen werden!). Oder man ist generell noch eher so Prä-Kant drauf und traut niemandem außer sich selbst zu, sich des eigenen Verstandes zu bedienen.

Nachdem ich immer mehr Mails mit „Abbestellen“ beantwortet und das Einloggen auf ein (beruflich bedingtes) Minimum herabgefahren hatte, ist die Situation nun völlig eskaliert: Seit ein paar Tagen werden ich immer dann per Mail informiert, wenn einer der aktivsten meiner Facebookfreunde sich mal wieder im Mark Zuckerbergs kleinem Nachrichtennetzwerk engagiert hat. „Schau mal, wie schön der Harald* das wieder gemacht hat. So einfach ist das, ein produktives Mitglied der Gemeinschaft zu sein!“, will man mir damit wohl sagen.

Ja, verdammt, ich will aber Revolution, und außerdem mag ich Twitter viel lieber!

Was mich zu dem Punkt bringt, der mich am meisten nervt: Wenn man so ein Facebook hat, wie ich, das einem eingeloggt nur die absurdesten Dinge in die Timeline lässt und ausgeloggt per Mail drangsaliert, dann möchte man nur noch austreten. Sollen Mark Zuckerberg und Harald doch glücklich in einen Sonnenuntergang reiten, den Luise zu ihrem Album hinzufügen kann. Mir doch egal. Doch 35.001 Artikel über das perfekte Dasein als freiberuflicher Journalist haben mich gelehrt, dass es in unserem Beruf völlig irrelevant ist, ob man Rechtschreibung, Pressrecht oder Word beherrscht – solange man socialmedia-mäßig vollumpfänglich aufgestellt ist, kann nichts schief gehen. Hinzu kommt, dass ich – Festangestellte mit angeschlossener Social-Media-Redaktion können jetzt mal kurz mit den Ohren schlackern – ganz gerne mal selbst meine Artikel auf die entsprechenden Facebook-Seiten stellen und der Diskussion folgen muss.

Falls Ihnen dieses Dilemma aus dem ARD-Nachmittagsprogramm bekannt vorkommt, dann haben Sie völlig recht: Juliane ist von Facebook derbe genervt, weil es mittlerweile etwas völlig anderes will als sie. Außerdem hört es nie richtig zu und überschreitet ständig Grenzen. Facebook hingegen leidet unter dem nachlassenden Interesse und ist von der Zurückweisung tief gekränkt. Längst raten die sie umgebenden Schwägerinnen und Hausburschen zur Trennung.

Wegen der Kinder kommt die zwar nicht in Frage. Aber weißt Du was, Mark Zuckerbers Algorithmus? Ich hasse Dich auch.

*Name der Redaktion, Mark Zuckerberg und seinen Freunden bekannt

  1. 16. April 2015

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