Juliane Schader

Franken das Schreckliche

BambergBamberg, völlig blaulichtfrei.

Ich habe keine Ahnung von Franken. Gerade musste ich googlen, um festzustellen, dass ich schon einmal da war, weil Bamberg und Nürnberg offenbar dazu gehören. Dennoch weiß ich seit ein paar Wochen, wie es dort zugeht. Nämlich ziemlich gefährlich.

„Nachdem eine junge Frau eine Taxifahrt nicht bezahlen konnte, hat sie auch noch einer Nürnberger Polizistin in die Hand gebissen und mehrere Beamte bespuckt und beleidigt.“

„Am Bahnhof in Feucht ist am Samstagabend ein Fahrgast von den Türen einer S-Bahn eingeklemmt worden und unter den fahrenden Zug gekommen.“

„Ein Pfarrer aus der Oberpfalz hetzt gegen Frauen, Homosexuelle und die Presse. Außerdem fragte er ein  an Leukämie erkranktes Kind im Rollstuhl, ob es zu faul zum Laufen sei.“

„Ein mit elf Schülern besetzter Bus ist gestern Abend aufgrund von Schneeglätte von der Straße gerutscht, umgekippt und im Graben gelandet.“

„Die Polizei Würzburg warnt vor einer neuen Facebook-Betrugsmasche.“

„Frei.Wild wurden als Headliner für das Out & Loud Festival in Geiselwind bestätigt.“

Solche Meldungen bekomme ich seit einiger Zeit im Stundentakt aufs Handy. Was, nicht dass wir uns falsch verstehen, mein Wunsch war. Ich habe den WhatsApp-Dienst der örtlichen Lokalzeitungen abonniert, die alle zur Mediengruppe Oberfranken gehören und sich den gemeinsamen Online Auftritt infranken.de teilen – einfach, weil es geht und ich wissen wollte, wie diese zaghafte Annäherung von Lokalem, Netz und jungen Menschen funktioniert. Doch das Ergebnis hinterlässt mich in etwa dem gleichen Zustand wie einst Bauer Heinrich, als er erfuhr, dass sein Hofwochenbesuch die Krusten vom Brot schneidet und diese nicht mal der Katze weiterreicht (bei Bauer Heinrich kommen Essensreste nämlich inne Tiere. Boah!). Seltsamer Exkurs Ende.

Das infranken.de-Team hält mich also den Tag über mit Polizeimeldungen auf dem Laufenden. Manchmal sind auch Nachrichten von der Handball-WM oder über schreckliche Liebesschlösser an Brücken dabei, und ja, auch vom Tod von Udo Jürgens habe ich per infrankenApp erfahren. Aber meist geht es um brennende Autos, verschwundene Menschen und betrunkene Jugendliche (in brennenden Autos).

Man wolle, so hieß es zum Start, vor allem junge Menschen über WhatsApp erreichen. Junge Menschen mit einem Faible für Katastrophen und dem politischen und gesellschaftlichen Interesse einer Amöbe, offenbar.

Zwar gibt es wohl einen Grund für die etwas seltsame Auswahl, die einem da aufs Handy gespielt wird: Jede Meldung endet mit einem Link zur Internetseite, und infranken.de hat eine Paywall für relevantere Geschichten. Polizeimeldungen hingegen bekommt man frei Haus geliefert, daher landen sie für alle sichtbar im Netz. Und wer will schon Menschen, die es aus WhatsApp in den Browser geschafft haben, vor einer Bezahlschranke verrecken lassen?

Aber trotzdem: Ich bin enttäuscht und entsetzt. Denn.

Die Idee ist gut. (Also abgesehen davon, dass man sich daran gewöhnen muss, dass der WhatsApp-Signalton nicht immer Neuigkeiten von Menschen, die man mag, ankündigt. Aber Andere, die nicht ich sind, lassen sich ja auch Breaking-News von ntv aufs Handy pushen; damit kommt man mit der Zeit wohl klar.) Aber die Erfahrung, als Neuigkeit immer nur blaubelichtete Schauergeschichten vorzufinden, ist es nicht.

Junge Menschen lesen keine Lokalzeitung mehr. Das sagt so ziemlich jede Studie, die sich innerhalb von drei Sekunden zusammengoogeln lässt. Das hat auch viel mit dem Schweinepreisschießengedächtnisquatsch zu tun, der dort immer noch tagtäglich dokumentiert wird. Aber auch damit, dass Print stirbt, das Mediennutzungsverhalten sich ändert und wir mittlerweile erwarten, dass relevante Nachrichten uns finden und nicht wir sie.

Ich vertrete eine gewagte Theorie: Auch im Lokalen sind Journalismus und das Herstellen einer Öffentlichkeit relevant. Für Letzteres benötigt man aber Leser, und genau da gibt es, siehe oben, derzeit ein Nachwuchsproblem.

Wenn ich sicher wüsste, wie sich das in Zukunft lösen ließe, säße ich den ganzen Tag an meinem vergoldeten Laptop und schriebe dieses Blog voll, weil ich nicht mehr anderweitig Geld verdienen müsste. Aber die Idee, dass dieses sich nur ändern lässt, wenn auch Lokalzeitungen mal den großen Zeh Richtung Internetgedöns strecken, erscheint mir doch in den Tendenz richtig.

Wenn eine Lokalzeitung sich also an dieses ominöse „Dark Social“ heranwagt, um junge Menschen da zu bedienen, wo sie eh schon sind, ist das eine super Sache. Ihnen dann aber nur Mord, Totschlag und schwulenfeindliche Pfarrer zu präsentieren, halte ich für eine sowas von vertane Chance, dass man es ruhig mal fahrlässig nennen kann.

Liebe infranken-Macher: Breaking News! Diese Leute mit Smartphone und Internetzugang haben ein Gehirn – sogar, wenn sie jung sind!

Ich weiß: Manchmal sagen die Klickzahlen genau das Gegenteil. Ich habe selbst beim Onlineauftritt einer deutschen Regionalzeitung am Rechner gesessen und entsetzt zur Kenntnis genommen, dass nichts so gerne geklickt wird wie neue Unfälle auf der A2. Den verantwortlichen Redakteur hat das damals dazu bemüßigt, jeden anfallenden Unfall umfassendst online dokumentieren zu lassen (von der Boulevardpresse lernen heißt siegen lernen, oder so). Was mich wiederum schnellstmöglich gehen ließ.

Denn wer das für den Lokaljournalismus der Zukunft hält, sollte seinen Laden lieber dicht machen, als ihn noch weiter zu digitalisieren.

  1. 2. Februar 2015

    Das Problem bei solchen Sachen ist meiner Erfahrung nach eher, dass die Print-Kollegen die unterbesetzten Onliner am langen Arm verhungern lassen. Polizeimeldungen schreiben können die selbst, aber die exklusiven, tollen Geschichten werden erst abends mit dem automatischen Export ins Portal gespült, wenns für einen aktuellen Kanal auch schon zu spät ist. Dass dieses dicke Brett auch im Jahr 20+ des Internet noch gebohrt werden muss, ist traurig.