Juliane Schader

Mehr Licht

In den vergangenen Monaten habe ich mich ausführlich mit dem Pankower Bezirkshaushalt auseinandergesetzt.

Gut. Das klingt jetzt erstmal so, als ob ich mir sonst gerne bei vollem Bewusstsein die Fingernägel herauszöge und nachts auf einem Nagelbrett schliefe, um mich danach über dessen Weichheit zu beschweren. Ganz so schlimm ist es nicht. Aber da ich ja schon Online-Lokaljournalismus mache, den Pullunder tragenden, müffelnden Stiefvetter aus der eh nicht sonderlich beliebten Familie des Journalismus, dachte ich, kommt es darauf jetzt auch nicht mehr an.

Berichte über kommunale Haushalte sind lokaljournalistischer Alltag. Wenn nicht gerade eine Gruppe Rentner ihren einzusparenden Treffpunkt besetzt und damit zwangsläufig Aufmerksamkeit auf sich zieht (Yes, I am looking at you, Stille Straße), sieht die Berichterstattung gerne so aus:

Haushalt

Hier ist das Gesamtwerk, aus dem diese Top-Informationen extrahiert wurden.

20140825

Man kann wirklich niemandem einen Vorwurf machen, der sich das in diesem Fall fast 500-seitige Werk nicht in seiner Gesamtheit zu Gemüte führt – schon gar nicht jemandem, der jeden Tag eine komplette Zeitungsseite zu befüllen hat, wie es in vielen Lokalredaktionen mittlerweile üblich ist. Aber da steht drin, wo die Verwaltung unser ach so geliebtes Steuergeld zu investieren plant. Wenn wir uns schon permanent auf die Schulter klopfen und uns unserer Wichtigkeit als vierte Gewalt vergewissern, sollten wir es lesen.

In den vergangenen Monaten habe ich genau das gemacht, und man kann es ruhig öfter sagen: Ohne die Unterstützung der Rudolf Augstein Stiftung wäre das nicht möglich gewesen. Das kleine Start-up Prenzlauer Berg Nachrichten hätte sich das einfach nicht leisten können.

Was lernt man also, wenn man so viel Zeit mit einem Bezirkshaushalt verbringt?

Erstens: So kompliziert ist das alles gar nicht. Da steht einfach nur fein säuberlich aufgelistet, wie viel Geld in der Vergangenheit für unterschiedliche Dinge ausgegeben wurde und wie viel dafür in Zukunft eingeplant ist.

Standesamt

Zweitens: Die Definition der unterschiedlichen Dinge und die Vorgabe, wie sie zerlegt über den Haushalt zu verteilen sind, stammen von den Machern der Steuererklärung.

Ein Beispiel: In einem Teil des Bezirks kostet Parken Geld. Es wird also durch Parkscheine und Knöllchen Geld eingenommen, für Kontrolleure, Automaten und Verwaltungsgedöns aber auch wieder welches ausgegeben. Ein Teil dessen wird in einem extra Wirtschaftsplan Parkraumbewirtschaftung abgerechnet, ein Teil steht im Haushalt selbst, und damit das Ganze richtig lustig wird, wird noch munter Geld zwischen Haushalt und Wirtschaftsplan hin- und hergebucht (wer sich ernsthaft dafür interessiert, wie es funktioniert: bitteschön).

Diese Regelung wird damit begründet, dass man für Transparenz habe sorgen wollen. Blöd nur, dass nicht einmal die damit betrauten Lokalpolitiker das System vollständig verstanden zu haben scheinen. Falls ich mich irgendwann mal ins Geldwäscher-Business absetzen sollte, weiß ich jetzt zumindest, wo ich Inspiration für das Verschleiern der Herkunft von Geld bekomme. Danke, Bezirkshaushalt Pankow!

Eine ebenso gute Empfehlung gibt es auch für alle, deren Ausgaben auf wundersame Weise jedes Jahr steigen und denen die Argumente fehlen, das ihren Lohnerhöhungen eher abgeneigt gegenüberstehenden Chefs zu verklickern. In Pankow schreibt man einfach „Mehr in Anpassung an den tatsächlichen Bedarf“ daneben, und gut ist. 99 Mal tauchen diese oder ähnliche Formulierungen im Haushalt auf. Und wer will schon in 99 Einzelfällen nach den eigentlichen Ursachen fragen?

Nein, auch ich habe das nicht gemacht (hole das aber gerne nach, falls mir jemand ein kleines Rechercheteam mit viel Zeit finanzieren möchte). Aber einen Fall habe ich mir rausgepickt. Nicht alleine, weil ich keine Ahnung hatte, was diese Eingliederungshilfen eigentlich sind, für die Pankow 80 Millionen Euro und damit über 10 Prozent seines Haushaltsbudgets ausgibt.

Was ich herausgefunden habe, steht in voller Länge nebenan (und ja, auch ich erwarte, dass das Internet den Text bald angewiedert abstößt, weil er sehr lang und recherchiert ist und das große Gesetz des Onlinejournalismus doch nur maximal 5000 zusammengecopypastete Zeichen erlaubt. Erst recht, wenn es sich dabei um Lokaljournalismus handelt).

Hier will ich nur kurz sagen, dass in diesem seltsamen Konstrukt namens Bezirkshaushalt krasse Themen stecken, die es zu hinterfragen lohnt. Nein, das ist nicht investigativ und man braucht dafür weder einen geheimen Briefkasten noch ein Faible für Treffen in Parkhäusern. Statt dessen ist es eigentlich Kategorie Alltag, jedes Jahr sollte man das machen. Doch es geht einfach nicht. Weil die Zeit fehlt, ebenso wie die Idee, wie man das auf Dauer und unabhängig von einmaligen Geldsegen finanzieren sollte.

Ich kann nicht abstreiten, dass mich das nervt. Ich gehöre schon zu den privilegierten Lokaljournalisten, die einen statt sechs Artikel pro Tag schreiben sollen und daher Zeit haben, sich Dinge vor Ort anzuschauen und mit mehr als einer Person zu sprechen. Doch an die eigentliche Ursache, das wirkliche Thema, komme ich oft trotzdem nicht ran. Ist das Gift unter dem Thälmann-Park wirklich so ungefährlich, wie der Senat sagt? Ist der Personalmangel die Ursache für die Defizite im Sozialamt, wie die Stadträtin meint? Ganz zu schweigen von den vielen Themen, die unbearbeitet im Haushalt zurückbleiben, wenn ich ihn nun weghefte. Und all denjenigen, die ich in ihm vermisst habe (Welche sozialen Träger bekommen wie viel Geld? Welche Betriebe engagiert der Bezirk für seine vielen Baustellen?).

Es geht ja gar nicht um Skandale. Es geht nur um Transparenz, die zu schaffen nunmal in der Jobbeschreibung steht.

Die Kollegen, die jeden Tag in der gut gefüllten Bundespressekonferenz sitzen, können sich das wohl kaum vorstellen. Aber im Lokaljournalismus ist man oft allein auf weiter Flur. Jeder, der dort irgendwas macht und veröffentlicht, ist schon ein Gewinn. Dennoch fühle ich mich oft wie jemand, der mit einer kleinen Taschenlampe in einem riesigen Keller steht und mal hierhin leuchtet, mal dorthin.

Ich hätte aber gerne Flutlicht.

Seit vier Jahren schreibe ich über Prenzlauer Berg. Von vielem, was mir im Haushalt begegnet ist, hatte ich noch nie etwas gehört. Dank der Augstein-Stiftung konnte ich nun einen kleinen Leuchtturm errichten, um im Bild zu bleiben. Der steht nun in dem unübersichtlichen, 800 Millionen schweren Haushalt des Berliner Bezirks Pankow mit seinen fast 400.000 Einwohnern.

Das ist wirklich schön. Aber es reicht einfach nicht.

Manchmal frage ich mich, was für coole lokale Angebote man online machen könnte, allein mit dem Budget einer Folge „In aller Freundschaft“. Denn das gehört zu einer medialen Grundversorgung; eine Zeitung für einen 400.000-Einwohner-Bezirk tut das nicht (wobei man ja eigentlich zwei bräuchte, Medienvielfalt und so). Keine Ahnung, ob die Finanzierung über eine Medienabgabe letztendlich wirklich eine gute Lösung wäre. Aber ich weiß, dass wir derzeit Geld haben für journalistische Leuchtturmprojekte, für Multimediareportagen über die Arktis und für ziemlich viele Kochshows. Aber im Lokalen sitzen wir im Dunkeln.

Haushalt_schmal

  1. 4. Dezember 2014

    Schöner Text. Bitte „steht in voller Länge nebenan“-Link prüfen, da ist (derzeit) ein juliane-wiedemeier.de zuviel reingerutscht.

    • 4. Dezember 2014

      @krusty20

      @Krusty20
      Dankeschön und stimmt, mit dem Link war was nicht in Ordnung. Nun sollte es wieder gehen.

  2. 5. Dezember 2014

    Danke für den Text. Erinnert mich an meine Zeit im Lokaljournalismus. Da habe ich mir auch oft gewünscht, tiefer in die Materie eintauchen zu können. Die straffe Personaldecke und die klammen Ressourcen ließen dies leider nicht zu.

  3. 5. Dezember 2014

    ich finde es ehrlich ziemlich selbstbewusst, als jemand, der sich weder mit Verwaltung noch mit Betriebswirtschaft auskennt, den Haushaltsplan einer Kleinstadt (wenn man Pankow denn so sehen will) zu beurteilen und zu bewerten. nur ein Beispiel: Lokalpolitiker werden nicht mit der Aufstellung des Haushaltsplanes betraut, das macht die Verwaltung.
    Es ist nicht unbedingt krasser Investigativjournalismus, mit Halb- und Nichtwissen im Gepäck mehr als eine Person zu irgendwas zu befragen. Wenn man wissen will, ob etwas giftig ist oder nicht, lässt man ein entsprechendes Gutachten von Fachleuten erstellen und fragt nicht irgendwelche Leute. Das, was Du machst, machen eigentlich relativ viele Leute, nur sind die meist über 60 oder Lehrer mit zuviel Zeit.

    • 5. Dezember 2014

      @c

      @c
      An welcher Stelle genau habe ich behauptet, das sei krasser Investigativjournalismus? Ist es ja eben nicht. Dennoch muss man sich des Themas annehmen, finde ich, weil es aus journalistischer Sicht eben nicht genügt, dass eine Verwaltung schon wissen wird, was sie da tut.

  4. 5. Dezember 2014

    @c: Es ist Aufgabe von (Kommunal-) Politik und (Kommunal-) Journalismus Verwatung zu kontrollieren und Rahmen festzusetzen. Die Prüfung auf Plausibilität ist eigentliche Aufgabe. Ja, dafür braucht man Selbstbewustsein, muss kein Lehrer sein, und braucht viel Zeit im (Ehren-)amt, die man im notwendigen Maße nie hat. In Pankow wie in anderen Kleinstädten auch.

  5. 5. Dezember 2014

    Online-Lokaljournalismus mit Anspruch = sehr lobenswert! Ich hoffe weiterhin, dass es (bei Distributionskosten von annähernd null) doch irgendwie möglich sein muss, journalistische Vielfalt und Qualität zu erhalten. Alle Bewohner des Kiezes sollten vielleicht über den „Freundeskreis“ nachdenken. http://prenzlauerberg-nachrichten.de/service/freundeskreis/

  6. 5. Dezember 2014

    Jeder Einwohner = 2 Millionen (Euro per anno?)
    Ist doch toll. Ich zieh‘ nach Pankow; denn, wie sang man einst:
    „Komm Kalinekin komm Kalinekin komm,
    wir woll’n nach Pankow geh’n
    da ist es wunderschön“

  7. 5. Dezember 2014

    Volle Zustimmung + Danke für den Beitrag!

  8. 5. Dezember 2014

    @c Das ist eben das Kreuz im Lokaljournalismus, dass man nicht für jedes Fachgebiet einen Experten als Redakteur hat – weil man sich die Leute schlicht nicht leisten kann. Aber was ist die Alternative? Was würden Sie von einer Zeitung halten, die über den Haushaltsplan einer Gemeinde/Klein-/Großstadt überhaupt nicht berichtet, weil sie halt leider keinen Betriebswirtschaftler oder Verwaltungsfachmann in ihren Reihen hat? Die Kunst von (guten) Lokaljournalisten besteht gerade darin, dass sie sich in komplizierte Themen einarbeiten können. Was man nicht verstanden hat, das erfragt man bei Leuten, die sich besser auskennen (nicht bei „irgendwelchen“). Und wenn man es nicht verstanden hat, dann fragt man so lange nach, bis man es verstanden hat. Ob das dann „krasser Investigativjournalismus“ ist, steht dahin. Besser als nicht nachzufragen, ist es allemal.
    Lokaljournalisten, die ihren Beruf gut beherrschen, schaffen es, über komplizierte Themen so zu berichten, dass es allgemein verständlich und sachlich richtig ist. Wer das nicht kann oder es sich von vornherein nicht zutraut, muss sich einen anderen Beruf suchen. Oder glauben Sie, dass es gut für die Demokratie ist, wenn sich nur noch über 60-jährige (Ex-)Lehrer mit viel Zeit für Themen interessieren, die jeden betreffen – wie zum Beispiel die Haushaltsplanung in ihrer Heimatgemeinde?

  9. 5. Dezember 2014

    @ Klaus: 800 Millionen geteilt durch 400 000 ist 2000, nicht zwei Millionen. Was natürlich nicht zwangsläufig heißt, dass es dort nicht wunderschön ist 😉

  10. 5. Dezember 2014

    @philip die abgrenzung zum gemeinen wutbürgertum mit stammtisch-referenz und dem sicheren wissen, dass „die da oben“ alle koruppt, unfähig oder beides sind ist recht schwierig. qualifikation im jeweiligen themengebiet ist finde ich grundvoraussetzung.
    mal als beispiel aus völlig anderem bereich: der größte teil der klimaleugner kommt nicht aus dem wissenschaftlichen bereich und hat sich „alles selbst angelesen“.

  11. 5. Dezember 2014

    Sie berühren da einen wichtigen und wunden Punkt. Ich befürchte sogar, dass die journalistische Kontrolle des lokalen Treibens mit dem Sterben der Tageszeitungen und damit der Lokalredaktionen weiter leidet. Die Redaktionen rücken immer weiter weg von den Dörfern: Bei uns ist es sogar schon so, dass die Redakteure gar nicht mehr wissen, welche Dörfer überhaupt zu welchen Kommunen gehören. Dass die wegbrechende journalistische Kontrolle von hyperlokalen Blogs eines Tages übernommen werden kann, glaube ich nicht, jedenfalls nicht in der Fläche.

  12. 8. Dezember 2014

    Seufz. Ja, alles sehr wahr. Es gibt nichts spannenderes als Lokaljournalismus, davon bin ich felsenfest überzeugt. Und es gäbe geniale Möglichkeiten, mehr daraus zu machen. Aber auch ich (Ex-Berlinerin mit hohem DJS-Anspruch, inzwischen rasende allein(!)verantwortliche Reporterin in einem Landkreis, der so groß ist wie das halbe Saarland) fühle mich wie die Tante mit der Taschenlampe im großen Keller. Flutlicht wäre super. Und mehr Zeit. Ich müsste schließlich nicht nur den einen 200-Seiten-Landkreis-Haushaltsplan lesen, sondern noch 27 andere Gemeinde-Haushalte. Da wimmelt es von wirklich relevanten Themen. „Würde es wimmeln, wenn man es nur lesen würde“ muß man leider sagen.

  13. 8. Dezember 2014

    Wieso eigentlich „Kleinstadt“? Der Bezirk Pankow hat 400.000 Einwohner (Wikipedia sagt 371.000) und damit mehr als Bochum, Wuppertal, Bonn, Karlsruhe, Mannheim, Kiel, Chemnitz und wie sie alle heißen.

    Und wieso eigentlich „hyperlokal“? „hyper“ heißt doch „über“, muss es nicht „hypolokal“ heißen, d.h. auf die Ebene unter dem Lokalen bezogen?

  14. 8. Dezember 2014

    Wow…
    Ich habe den Artikel „nebenan“ gelesen und kann die Schlüsse, die da gezogen werden, nur bestätigen, zumindest für „meinen“ Bereich (Selbsthilfe für psychisch Kranke in Kooperation mit verschiedenen Träger, profit und non profit).
    Und das Journalistische: Ein langer, interessanter Text mit vielen gut verpackten Details, an einem Stück wegzulesen, und hinterfragen Sie „end to end“, was passiert, und diese umfassende Perspektive macht die Sache richtig rund.
    Danke, das war gut.