Juliane Schader

Occupy Görlitz

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Mir ist heute etwas Schlimmes passiert: Ich habe mir die Gentrifizierung herbeigewünscht. Für eine Bewohnerin des Prenzlauer Bergs ist das in etwa so legitim wie der Besuch des Vorsitzenden des Veganerbundes im Steakhaus oder eine Weinverkostung durch die Guttempler. Doch ich hatte meine Gründe. Ich war in Görlitz.

Das ist die Stadt, von der man weiß, dass sie wunderschön sein soll, dass Kate Winslet schon mal da war, und dass sie so weit im Osten liegt, dass man doch nie hinkommt.

Was soll ich sagen? Ich hatte gerade Zeit und einer muss es ja mal machen, und so habe ich beschlossen, das mit der bestechenden Schönheit zu verifizieren. Erfolgreich, möchte ich hiermit verkünden. Denn so viele wunderbare Bauten am Stück gibt es wirklich selten. Aber leider auch selten so viel Leerstand. Vorsichtig formuliert könnte man sagen, dass die umfangreiche Sanierung der einst in Folge von Reichtum erbauten Häuser wohl nicht allein aus der aktuellen Wirtschaftskraft der Stadt zu finanzieren war. So kommt es, dass herausgeputzte und komplett verlassene Altbauten munter nebeneinander stehen. Bei Letzeren geht der Trend zum großen Vorhängeschloss vor der Eingangstür. Erstere platzieren dort ihre Wohnungsangebote: Altbau, 100 qm, saniert, 400 Euro warm.

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Nun muss ich zugeben, dass ich einen einzigen Tag in Görlitz verbrachte und vorher ausschließlich den zur Stadt gehörenden Wikipedia-Artikel gelesen habe. Damit kann man mit Fug und Recht behaupten, dass ich keine Ahnung habe. Dennoch erlaube ich mir den Eindruck, dass ein paar Studenten, ein, zwei Cafés und eine nette, aber unbedingt ranzige Kneipe dem ein oder anderem Straßenzug gut tun könnten.

Wie wär’s? Wir überlassen den Helmholtzplatz endgültig den Anderen und ziehen alle nach Görlitz. Günstig wohnen kann man da, schön ist es, Platz gibt es genug, und alle paar Wochen fahren wir nach Polen zum Haareschneiden, weil das Bier da so hervorragend ist. Und wenn alles ein weniger belebter und belegter ist, aber noch bevor die Zeitungen des Landes titeln mit „Im Osten was Neues“ oder „Görlitz goes Gentry“, ziehen wir weiter. Nach Zittau, zum Beispiel, oder Löbau. Was meint Ihr?

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(Ich reise in den nächsten Tagen ein wenig durch Deutschland. Vielleicht schreibe ich ab und zu darüber. Vielleicht auch nicht. Mal sehen.)

  1. 15. Juli 2013

    Görlitz! Wie lange wollte ich da schon mal hin! Und von da hoch nach Muskau. Wobei man der Stadt weder eine finanzgetriebene Luxussanierung noch den Mückenschwarm von desorientierten Lifestylern, „information workern“ und Künstlern als Retter wünschen würde, sondern eher eine große Tüte aus Mischbevölkerung, produktiven Branchen, Forschung, Lehre, Handwerk und Kindern. Von mir aus auch etwas abgebrannte Creme Brulee aus Berlin dazu. Ach je, wenn Deutschland doch nur mehr Görlitzens hätte …