Juliane Schader

Im Lippenstiftmuseum des Herrn René

Unlängst war ich, und man darf an dieser Stelle ruhig ein wenig neidisch sein, zum Arbeiten in einem Lippenstiftmuseum. Oder besser: Dem Lippenstiftmuseum, denn wenn es nach dem Inhaber geht, gibt es nur das eine auf der großen weiten Welt.

Betrieben wird es von René Koch, der mir bislang nur als Minutenfüller in Sendungen, die zu sehen man niemals zugeben sollte, sowie als Kosmetikanpreiser bei HSE aufgefallen war. Wobei man Letzteres natürlich auch zu Ersterem dazuzählen kann. Oder sollte.

Wie dem auch sei, ich traf den Herrn also zwecks Interviews und Besichtigung seines Museums, welches sich praktischer Weise in seiner Privatwohnung befindet. Praktisch für mich, da ich so erfuhr, dass Herr Koch in einer in Gold und Weiß gehaltenen Wilmersdorfer Altbauwohnung voller Lippenstiftvitrinen, aber auch mit einer riesigen Bücherwand residiert. Praktisch für ihn, da er zu Hemd und Weste einfach mal seine schwarze Jogginghose anbehalten konnte. Die Voraussetzungen für einen entspannten Nachmittag waren damit gegeben.

Und was soll ich sagen – ich fürchte, ich muss meine Meinung über alternde Visagisten mit einer Vorliebe für selbsttönende Brillen überdenken. Oder kann man jemanden nicht mögen, der über das Lippenrot im Mittelalter philosophiert und dazu meint: „Lippenstift wurde damals nur von emanzipierten, berufstätigen Frauen getragen. Hexen etwa. Ich meine: So ’ne Hexe, das war doch keine Hausfrau!“ Auch wenn sie, wie etwa in der Version von Hänsel und Gretel, durchaus ein Haus besitzen konnte.

Es folgten genaue Beschreibungen des Wandels des Lippenstiftes und der Rolle der Frau seit ungefähr 1455, die ich in ihrer Ausführlichkeit nicht wiedergeben möchte. Auch wenn es nie schaden kann, zu wissen, dass Marlene Dietrich einst des Champs-Elysées verwiesen wurde, weil sie Hosen trug. Hilde Knef sich morgens früh als erstes an ihren Visagisten wandte mit der Bitte, sie anzumalen. „Damit ich weiß, wo vorne ist.“ Und die exquisiten Lippenstift-Puder-Kombinationen in den 1950ern als Geschenk den „Liebchen“, wie Herr Koch sie zu nennen beliebt, vorbehalten waren. „Für die Ehefrau gab es derweil einen Bügelautomat.“ Aber ich will einen Besuch im Museum ja hier nicht vorwegnehmen. Sondern vielmehr empfehlen. Geöffnet ist es jedoch nur am Wochenende und nach Anmeldung, die Warteliste geht derzeit bis September. Doch es lohnt sich, und im Preis sind Kaffee, Kekse und ein rosaroter Prosecco inklusive.

Womit ich mein Wildern in den Gefilden der Beauty-Blogger beenden möchte. Mit den zwei schönen Fun Facts, dass Herr Koch sich, vermutlich in Reminiszenz an Rudolph Moshammer, selbst als „Herr René“ bezeichnet. Und unser Interview beendete mit dem Satz: „Mein Golfplatz ist hier.“ Womit er vermutlich meinte, dass sein Geld für ein Hobby in sein Museum flösse, was aber angesichts der abnormen Dimensionen dieser Wilmersdorfer Altbauwohnungen auch durchaus wortwörtlich gemeint gewesen sein könnte.

  1. 26. Mai 2011

    Irgendwie schön.