Juliane Schader

Whatever you need to tell yourself

Das „Neue Deutschland“ gehört jetzt nicht unbedingt zu den Zeitungen, zu deren regelmäßigem Leserstamm ich mich zählen würde. Es gibt da, ich muss das zugeben, einige Vorbehalte von meiner Seite aus. Mit Recht, wie ich nun weiß, seitdem ich bei der Recherche für einen Artikel über ein Werk aus dieser Zeitung stieß, das dort schon am vergangenen Freitag veröffentlicht wurde.

Es geht um das Bötzowviertel in Prenzlauer Berg, das über 15 Jahre lang als ausgewiesenes Sanierungsgebiet zusätzliches Geld vom Senat bekam – über 50 Millionen verteilt auf den gesamten Zeitraum. Nun läuft die Förderung aus, und erwartungsgemäß wird zu diesem Anlass ein Fazit gezogen, in diesem Fall in Form einer Sozialstudie, mit der ich mich ebenso beschäftigt habe wie der Autor des „Neues Deutschlands“.

„Angst vor der Verdrängung“ ist sein Artikel überschrieben, und damit ist alles zusammengefasst, was die stets hoch emotionalisierte Diskussion um die zentrumsnahen Viertel Ost-Berlins und den Begriff „Gentrifizierung“, der in diesem Zusammenhang immer fällt, angeht: Alte Bewohner werden von neuen, vorwiegend aus Schwaben kommenden Westdeutschen, verdrängt. Sie sorgen für Luxusmodernisierungen, nehmen den Altbauquartieren dadurch den letzten Charme und treiben die Mieten so stark in die Höhe, dass Alteingesessenen letztendlich nur die Flucht bleibt – so geht die Legende.

Zu deren Bildung auch das „Neue Deutschland“ gerne beträgt:

»Mein Mann ist schon Rentner«, berichtete eine Frau. »Und in drei Jahren ist es bei mir so weit. Wir wissen nicht, ob wir dann die Miete noch zahlen können oder an die Stadtgrenze ziehen müssen. Wir wollen aber nicht nach Hellersdorf. Hier haben wir viele Bekannte, kennen jede Ecke.« Baustadtrat Michail Nelken (LINKE) versuchte zu beruhigen: »Die Mieten werden erschwinglich bleiben.« Auch den befürchteten massiven Zuzug von besser verdienenden jungen Menschen sieht Michail Nelken nicht so dramatisch. »Es wird eine gesunde Mischung bleiben.«.

Nach einer von der Betroffenenvertretung Bötzowviertel in Auftrag gegebenen Studie sieht das allerdings anders aus.

Schon dies ist falsch, denn die Auftraggeber der Studie sind das Bezirksamt Pankow sowie die Gesellschaft für behutsame Stadterneuerung S.T.E.R.N.. Was sich jeder denken kann, der weiß, dass Studien stets eine teure Angelegenheit sind und eher selten von Betroffenenvertretungen zu stemmen sind. Doch dies nur am Rande.

Wirklich bemerkenswert finde ich, wie im Folgenden die Ergebnisse der Studie zusammengefasst werden (die hier, wer mag, herunterladen kann).

Die ASUM GmbH (Angewandte Sozialforschung und urbanes Management) stellte fest, dass der Quadratmeterpreis künftig bei 5 bis 5,50 Euro liegen wird, bei Neubezügen können es auch 7,20 Euro werden. Als Negativbeispiel für Neubauten wurden die »Town Houses« am Schweizer Garten – gegenüber dem Märchenbrunnen – angeführt. Hier seien die Mieten »horrend«. Aber auch ein Quadratmeterpreis 7,20 Euro ist nach Ansicht der Sozialforscher viel zu hoch. Schon heute sei jeder siebente Haushalt im Bötzowviertel armutsgefährdet.

Zum einen sind die Zahlen halbgar: von zukünftigen Quadratmeterpreise ist nicht die Rede, dafür von aktuellen Durchschnittsmieten von 5,66 Euro/qm im Bestand und 8,35 Euro bei Neuvermietungen. Die „Town Houses“ werden in keinster Weise negativ, sondern sehr neutral als Neuangebot von Wohnraum dargestellt; von „horrenden“ Mieten wird nie gesprochen. Und auch die Zahl der armutsgefährdeten Haushalte ist zwar korrekt, kommt aber etwas anders daher, wenn man ihr ihr Umfeld lässt, welches die Studie wie folgt formuliert:

Die ökonomischen Lage der Haushalte hat sich deutlich verbessert. Das mittlere Haushaltsnettoein- kommen liegt 30% und mehr über dem des Bezirks und der Stadt. Das Einkommensniveau wurde vorwiegend durch zuziehende Haushalte erhöht. Im Sanierungsgebiet leben jedoch auch Haushalte mit geringem Einkommen. Etwa jeder siebente Haushalt ist armutsgefährdet, jeder fünfzehnte Haushalt ist einkommensarm im engeren Sinn.

Hier werden schlicht Vorurteile bedient, was schade ist, da gerade diese Studie in einem sehr neutralen Ton die Möglichkeit gibt, einmal hinter die Klischee-beladene Gentrifizierungsdebatte zu gucken. Mit Zahlen, die mich sehr überrascht haben, und die eben mit keinem Wort im „Neuen Deutschland“ Erwähnung finden. Womit wir endlich zum Kern des Ganzen kommen:

Die Grauschattierungen sind etwas schwer unterscheidbar, daher hier nochmal als Zitat aus der Studie der Beweis:

Vor 1990 haben 60% der heutigen Bewohner in den neuen Bundesländern bzw. Berlin (Ost), 37 % in einem der alten Bundesländer bzw. Berlin (West) und 3 % im Ausland gelebt. Der Stammbewohner aus dem Prenzlauer Berg ist immer noch ein dominanter Teil der Bewohnerschaft des Gebiets.

Im Bötzowviertel, Hort der Schwaben und Hochburg der Gentrifizierung, leben also überwiegend Ur-Berliner. Dass die Leser des „Neuen Deutschlands“ das nie erfahren werden, ist geradezu schade.

Ja, in Prenzlauer Berg sind die Mieten gestiegen (die Wohnungen haben dafür jetzt aber auch Anschluss ans Fernwärmenetz und kein Außenklo mehr). In den vergangenen 20 Jahren sind Menschen hergezogen. Einige davon auch aus Westdeutschland. Aber über 50 Prozent der Bewohner haben schon vor der Wende in Ost-Berlin gelebt. Das hätte man mal erwähnen können. Aber die Überschrift „Angst vor der Verdrängung“ war wohl zu verlockend.

  1. 28. Februar 2011

    Liebe Juliane Wiedemeier,

    schön dass Sie die Sozialstudie zum Abschluss der Sanierungsgebietssatzung so ausführlich würdigen. Was ich nicht verstehe, ist die Polemik gegen den Artikel im Neuen Deutschland. Der Kurzschluss „Verdrängung = Schwaben“ mag zwar die eine oder andere emotionale Position zum Thema prägen – im von Ihnen kritisierten Artikel ist gar keine Rede davon. Stattdessen wird relativ klar formuliert, wie die Überschrift „Angst vor der Verdrängung“ zu verstehen ist:
    „…viele Bewohner sorgenvoll in die Zukunft. Die meist älteren Menschen, die schon seit Jahrzehnten in diesem Kiez zwischen Greifswalder Straße und Am Friedrichshain leben, befürchten, dass sie sich nach den zu erwartenden Mieterhöhungen ihre Wohnungen nicht mehr leisten können und an den Stadtrand verdrängt werden.“

    So wie ich den Beitrag verstanden habe, gibt er im wesentlichen die Diskussionen einer Bürgerversammlung wieder, zu der die Betroffenenvertretung eingeladen hatte, um die Ergebnisse der Sozialstudie zu besprechen. Offensichtlich spielten dabei die Anteile von Ost- und Westdeutschen an den Zuzügen der vergangenen Jahren eine nur untergeordnete Rolle. Dies dem Bericht in der Zeitung vorzuwerfen, finde ich ein wenig überzogen.
    Meine Interpretation wäre, dass es sich bei der Frage um die Verdrängung wesentlich um eine soziale Frage handelt, bei der Einkommen und Mieten die zentrale Rolle spielen.

    Ach ja und ein kleiner Rechenfehler ist Ihnen unterlaufen. Sie schreiben:
    „In den vergangenen 20 Jahren sind Menschen hergezogen. Einige davon auch aus Westdeutschland.“
    Die Studie weist für insgesamt 60 Prozent der aktuell im Bötzowviertel lebenden Haushalte eine ostdeutsche Herkunft aus. Doch die knapp 20 Prozent im Gebiet verbliebenen Altmieter/innen sind natürlich nicht zugezogen. So dass sich tatsächlich das Bild von etwa gleich starken Zuzugsbewegungen aus Ost und West ergibt. ‚Jeder zweite Zuzug kommt aus dem Westen‘ hätte der Satz also heißen müssen und das wäre im Vergleich zu anderen Ostberliner Stadtbezirken eine deutliche Ausnahme.

    Viel spannender als die von Ihnen hier diskutierten Herkunftsfragen sind aber sicherlich die in der Studie deutlich dargestellten Sozialstrukturveränderungen (Haushaltstypen, Alterszusammensetzung, Bildungsgrad und Einkommen) – denn ganz ohne Ost-West-Schwaben-Debatte lässt sich die Verdrängung der früheren Mischung durch ein relativ homogenes Milieu des Bildungsbürgertums im Bötzowviertel beschreiben. „Die Angst vor Verdrängung“ erscheint vor diesem Hintergrund nicht nur verlockend, sondern vor allem als zutreffend.

    Mit freundlichen Grüßen,

    Andrej Holm

    • 1. März 2011

      @AH

      Lieber Herr Holm,
      sie haben Recht, in der Studie ist viel von steigenden Mieten und Veränderungen in der Sozialstruktur die Rede – also dem Erwartbaren und allgemein Bekannten. Aber eben auch davon, dass 55 Prozent der heutigen Bewohner des Sanierungsgebietes Bötzowstraße schon vor der Wende in Ost-Berlin gewohnt haben, was ich mal hier als „in der Gegend“ definieren möchte. Was ich sowohl überraschend als auch damit weiterhin unbedingt erwähnenswert finde.
      Demnach haben sie auch, was die Anzahl der Zuzüge angeht, richtig gerechnet. Zumindest, wenn Sie gerne nach Ost- und Westdeutschen unterscheiden. Ich lese aus den Zahlen, dass von den heutigen Kiezbewohnern schon vor der Wende 70 Prozent Berliner waren, auch bekannt als Nicht-Schwaben. Was sicher nicht darüber hinweg tröstet, dass nicht so gut verdienende Menschen das Viertel verlassen mussten. Aber dennoch einen Aspekt darstellt, den man in der ja nicht ganz unkomplexen Gentrifizierungsdebatte berücksichtigen sollte. Finde ich.

  2. 1. März 2011

    Liebe Juliane Wiedemeier,

    dann sind wir uns ja fast einig und finden offensichtlich beide, dass es sich bei der berühmt berüchtigten Gentrification eher um einen sozialen, denn einen kulturellen Prozess handelt und sich die Fragen der Verdrängung kaum ethnisieren lässt.

    Im Nachklapp zu den Diskussionen um den GEO-Artikel zur Hufenlandstraße kommen mir die emotional vorgetragenen Positionen dagegen nun noch merkwürdiger vor, da sie ganz offenbar von einer kleinen Minderheit der Zugezogenen forciert wurde. Die von Ihnen ausgemachte Mehrheit ‚aus der Gegend‘ jedenfalls dürfte sich ja von der in der GEO proklamierten „Invasion der Schwaben“ nicht gemeint gesehen haben. Aber vielleicht wäre es tatsächlich eine spannende Frage, wie es einer offenbar kleinen Gruppe gelingt, die öffentliche Wahrnehmung und das Image des Quartiers so nachhaltig zu prägen. Da warte ich gespannt auf Ihre nächsten Beiträge.

    Beste Grüße,

    Andrej Holm