Juliane Schader

Just a little bit of history repeating

Ich fürchte, ich werde alt. Was man vor allem an der Tatsache festmachen kann, dass ich den gestrigen Nachmittag nicht mit dem gekonnten Drapieren von Kunstblut und Einwegeiter verbrachte, sondern auf einer Führung durch die Mauergedenkstätte an der Bernauer Straße. Call me Bildungsbürgertum, und ja, ein wenig schäme ich mich dafür.

Nun ist es so, dass ich einen Geschichtslehrervater habe, und einen Großteil meiner kindlichen Ferien damit verbrachte, Prager Botschaften, Warschauer Ghettos, und die Gräber ungarischer Dissidenten mit unaussprechlichen Namen zu besuchen. Während alle ans Mittelmeer fuhren, waren wir auf dem Transit nach Ost-Berlin unterwegs, und als es einmal doch an die französische Atlantikküste ging, dann nur, um in Arromanches-les-Bains die Beton-Pontons zu besichtigen, die die Alliierten nach der Invasion 1944 am Strand liegen gelassen hatten.

Womit ich sagen will: Für eine Führung, die mit den Sätzen beginnt: „Ich weiß nicht, ob Sie es wussten, aber einst war Berlin in zwei Teile geteilt“ bin ich nicht die richtige Zielgruppe. Aber vermutlich auch sonst niemand, der die vergangenen Jahre nicht in einem Erdloch verbrachte. Oder in Bayern.

Nun war es so, dass der Führungsleiter, wie ich ihn aus Gründen der politischen Korrektheit nennen möchte, nicht nur eine Vorliebe für Informationen aus dem Fachgebiet Allgemeinwissen hatte, sondern dazu noch einen Sprachfehler sowie eine demonstrativ zur Schau gestellte Genervtheit sein Eigen nannte. Die, wie ich dank seines Namensschildes später ergooglen konnte, wohl auf seinem Dasein als verkappter Künstler beruht. Sein Spezialgebiet sind die Darstellung von überdimensionalen Essiggurken neben Berliner Wahrzeichen sowie Stilleben aus Suppengemüse und Kuscheltieren.

Ja, ich würde das jetzt gerne verlinken, aber dann wäre ich endgültig ein schlechter Mensch.

Kein Wunder also, dass er sich von seiner Tätigkeit, sieben sonntäglich gestimmte Berliner über Selbstschussanlagen aufzuklären, unterfordert fühlte. Wobei mir auffällt, dass die gar kein Thema waren. Statt dessen erfuhr ich in mantrahafter Wiederholung, dass die Mauer einfach so plötzlich eine Stadt in zwei Teile teilte, und – immerhin das war ein Erkenntnisgewinn – in ihrer gefallenen Endfassung aus dem Jahr 1980 stammte. „Sie wurde abgerissen, dabei war sie eigentlich noch gut“, so der Künstler. Man hätte sie also im Sinne der Nachhaltigkeit ruhig nach Israel verschicken und in Jerusalem recyclen können. Wenn sich mit dem Kapitalismus nicht auch die Wegwerfgesellschaft durchgesetzt hätte.

Dazugelernt habe ich an dem Nachmittag dennoch. Dank der Stuttgarter Reisegruppe, die kurz vor uns auf Besichtigungstour des erhaltenen Mauerstreifens geschickt wurde. Und die sich unterteilte in Menschen mit „I heart S21“- und in Menschen mit „Oben bleiben“-Button. Viele Berlin-Besucher wären wohl auch froh, wenn wir uns ebenso offensichtlich als „Ost-Berlin“, „West-Berlin“ und „Aus Schwaben zugezogen“ kennzeichneten. Aber was mich eigentlich faszinierte, war die Dichte an beigen Trenchcoats, Cordjackets und akkurat gebügelten Jeans zu frisch geputzten Segelschuhen. Auch wenn sie offensichtlich politisch nicht auf einer Wellenlänge lagen, so war ihnen das von außen eben nicht anzusehen – eine in Berlin undenkbare Homogenität. Wir sind die wiedervereinigten Individualisten. Die Stuttgarter Bildungsbürger in Uniform.

Falls sie in den nächsten Wochen dennoch Bedarf an einer Mauer haben sollten – noch stehen hier ein paar Teile rum. Die durchaus noch gut sind, wie wir nun wissen.

  1. 6. November 2010

    „Für eine Führung, die mit den Sätzen beginnt: “Ich weiß nicht, ob Sie es wussten, aber einst war Berlin in zwei Teile geteilt” bin ich nicht die richtige Zielgruppe. Aber vermutlich auch sonst niemand, der die vergangenen Jahre nicht in einem Erdloch verbrachte. Oder in Bayern.“

    Schade, dass sogar junge Leute noch diese lahmen Klischhees bedienen.

  2. 11. November 2010

    (besser spät als nie)
    @Ms Schwarz: Hä? Sie hätten nichts dagegen, wenn junge Leute flotte Klischees bedienen? Sagt man das heute noch? Flott? Wie wär’s mit „Scheiß Klischees“? Und Sie haben ja auch Recht. Dennoch: Klischees sind (in Maßen)witzig. Oder ist das nur ein Klischee? Ist das Klischee die kleine Schwester des Vorurteils. Und gibt’s dafür Sippenhaft? Ick find den Post trotzdem gut. Gerne mehr.

  3. 2. Dezember 2010

    Ich finde es irgendwie gemein, wenn man die Bayern als Geschichtsfeinde hinstellt.
    Warum sollten gerade Bayern nicht wissen, dass Berlin geteilt wurde? Baden-Württemberg liegt viel weiter von Berlin weg als Bayern! Aber vielleicht liegt es ja daran, dass die Württemberger nicht jeden Tag Lederhosen tragen und zwei Maß Bier frühstücken.

    Aber ich finde den Blog trotzdem super. 🙂